US-Aktien genießen noch bis 2025 eine Vorteilsstellung. Eine weiche Landung kann Anlegern jedoch die Möglichkeit bieten, ihre Portfolios auf Small-Caps und Schwellenländer auszuweiten. Auch in anderen Bereichen gibt es vereinzelte Chancen, allerdings empfiehlt sich ein selektiver Ansatz.
Das berühmte Zitat des Investors Benjamin Graham1 lässt sich im weitesten Sinn so interpretieren: Kurzfristig funktioniert der Aktienmarkt wie ein Wahlcomputer, der von Stimmungen und Strömungen beeinflusst wird. Langfristig hingegen verhält er sich wie eine Waage, deren Richtung von Fundamentaldaten und wirtschaftlichen Realitäten bestimmt wird. Diese Dynamiken sind gerade jetzt besonders relevant. Die globalen Aktienmärkte müssen mit kurzfristigen Unsicherheiten wie der Leitzinsentwicklung und Wahlergebnissen umgehen, aber auch mit tiefgreifenderen strukturellen Veränderungen wie demografische Entwicklung, geoökonomische Fragmentierung und die Ausbreitung transformativer Technologien. Wie wir das Renditepotenzial von Aktien verschiedener Regionen und Sektoren einschätzen, basiert auf den Auswirkungen, die diese Einflüsse auf die Bewertungen und die Unternehmensgewinne haben.
US-Large-Cap-Aktien können ihren strukturellen Vorteil gegenüber anderen Industrieländern voraussichtlich beibehalten. Nach wie vor bieten US-Unternehmen das, was für die Märkte am wichtigsten ist: Rentabilität und Gewinnwachstum. Das verdanken sie in erster Linie dem Technologiesektor und ganz besonders den „Magnificent 7“. Für 2025 wird ein Gewinnwachstum von 15 % erwartet, und wir rechnen vor dem Hintergrund einer weichen Landung der Wirtschaft mit einer anhaltend positiven Dynamik.
Diese Gewinne scheinen zudem widerstandsfähig gegenüber geldpolitischen Entscheidungen zu sein und profitieren eventuell auch von politischem Rückenwind. Die Nettozinszahlungen als Prozentsatz der Gewinne sind historisch niedrig, was die Profitabilität der USA weiter begünstigt. Außerdem verlängert die neue Trump-Regierung möglicherweise den „Tax Cuts and Jobs Act“ und schlägt gegenüber Big Tech vielleicht einen freundlicheren regulatorischen Kurs ein.
Dies würde nicht nur Large-Caps, sondern auch die Wertentwicklung zyklischer Sektoren stützen, etwa durch eine erneute Fokussierung auf traditionelle Energieträger oder eine Deregulierung des Finanzsektors. Auch das Gewinnwachstum kleinerer Unternehmen könnte davon profitieren (siehe Abbildung 1). Die Zuversicht bei kleinen US-Unternehmen ist derzeit in der Schwebe. Die Stimmung ändert sich kaum, denn es besteht die Hoffnung, dass die Risiken nachlassen, wenn nach den Wahlen mehr Klarheit über den Kurs der Regierung und der Geldpolitik besteht. Sollten sich beide als positiv erweisen und der Arbeitsmarkt robust bleiben, kann Small-Caps eine Erholung gelingen. Ihre Bewertungen sind relativ attraktiv und sie bieten ein höheres Gewinnwachstumspotenzial.
Das Bewertungsniveau wird oft als Risiko für den Marktfortschritt angeführt. Die kontinuierliche Beobachtung von Künstlicher Intelligenz (KI) und ähnlichen Themen hingegen wirft Fragen über die Dynamik und Monetarisierung dieser aufsehenerregenden technologischen Neuerungen auf. Allerdings liegt das aktuelle Kurs-Gewinn-Wachstums-Verhältnis (KGV) des S&P 500 mit 1,5 unter dem 10-Jahres-Durchschnitt.2 Das KGV des Informationstechnologiesektors ist indes mit 1,7 nur etwas höher als der 10-Jahres-Durchschnitt. Das zeigt, dass der Markt gemessen an seinem Wachstumspotenzial nicht so teuer ist. Dennoch wäre jede Fehlentwicklung bei den Gewinnen, insbesondere bei Top-Unternehmen, Anlass zur Sorge.
Auf den ersten Blick scheint die europäische Wirtschaft viel Positives zu bieten: hohe Sparquoten der Haushalte, robustes Lohnwachstum, niedrige Arbeitslosigkeit und günstige Effekte durch die zurückgehende Inflation. Dennoch hinkt die Wirtschaft hinterher, woran der schwache Konsum, eine geringe Binnennachfrage und ein niedriges Investitionsniveau aufgrund des fehlenden Vertrauens in die Wachstumsaussichten der Region schuld sind. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Gewinnprognosen nach unten korrigiert wurden.
Chinas wirtschaftliche Probleme sorgen auch für Gegenwind. Bis sich die chinesische Inlandsnachfrage erholt hat und sich das dann in der Eurozone niederschlägt, wird es dauern. Davon ist Deutschland aufgrund seiner engen Handelsbeziehungen zu China besonders betroffen. Die aktuelle politische Unsicherheit in Berlin kommt erschwerend hinzu.
Trotzdem gibt es in Europa Chancen: Das geschätzte Gewinnwachstum von rund 10 % für 2025 und das Forward-KGV von 14 liegen unter dem Fünfjahresdurchschnitt. In der Eurozone finden sich diese Chancen in global ausgerichteten Sektoren wie Energie (attraktiver bewertet als in den USA), Gesundheitswesen (europäische Unternehmen gehören zu den weltweit führenden) und Industrie (führend im Bereich Erneuerbare-Energie-Infrastruktur), denn sie leiden weniger unter der Konsumschwäche ihrer Binnenmärkte.
Trotz jüngster Erfolge dürfte der japanische Aktienmarkt auf der Stelle treten, denn neue Unsicherheiten können für Volatilität sorgen. Der starke Rückenwind durch die Inflation und neuen Wachstumsaussichten, der Japans Aktienmarkt dieses Jahr über sein Hoch von 1989 klettern ließ, könnte abflauen. Stattdessen stellen eine restriktivere Geldpolitik und politische Unsicherheit neue Risiken dar, die die bereits größtenteils eingepreisten Positiveffekte wieder wettmachen können. Die Erwartung höherer Anleiherenditen und weniger Yen-Rückführungen werden die Risikoaufschläge bei Aktien voraussichtlich drücken. Dadurch wird gerade angesichts des politischen Wechsels in Japan die Anlegernachfrage nach Anleihen zulasten von Aktien beflügelt. Obwohl japanische Aktien in den letzten zehn Jahren nach Parlamentswahlen in der Regel eine Erholungsrallye erlebten, könnte es diesmal anders sein, wenn die ständigen Neubesetzungen des Premierministeramts anhalten.
Chinas jüngste Konjunkturmaßnahmen beflügeln zwar den chinesischen Aktienmarkt, aber sie bieten nur eine kurzfristige Lösung. Die strukturellen Probleme wie eine chronisch hohe Staatsverschuldung, ein Überangebot an Wohnraum, aufgrund dessen Verbraucher zu 70 % am Immobilienmarkt verschuldet sind, und ungünstige demografische Entwicklungen bleiben ungelöst. Das drückt auf die Konsumnachfrage und die Stimmung. Die geplante Rekapitalisierung von Banken durch die chinesische Zentralbank People’s Bank of China (PBoC) bringt langfristig eventuell nicht die erhofften Ergebnisse. Die bisherigen Maßnahmen reichen schlicht nicht aus, um das grundlegende Problem zu lösen: mangelnde Nachfrage, die sich in ausbleibenden ausländischen Direktinvestitionen (siehe Abbildung 2), schwachem Binnenkonsum und einem Verfehlen von Wachstumszielen widerspiegelt. Solange diese Kernprobleme nicht gelöst sind, wird sich China voraussichtlich schwertun, ein nachhaltig höheres Wachstum und eine starke Aktienmarktentwicklung zu erzielen.
Die Schwellenländer sind vielversprechend. Ihr Wirtschaftswachstumspotenzial ist hoch, die Gewinnwachstumsaussichten stark und der Inflationsdruck sinkt. Die vor allem in den USA fallenden Zinsen können für zusätzlichen Auftrieb sorgen. Diese Erwartungen erfüllen sich allerdings nicht immer.
Die geopolitischen Risiken werden die Euphorie vermutlich dämpfen und den US-Dollar stärken. Die wirtschaftliche Fragmentierung dürfte sich belastend auswirken. Trotz attraktiver Bewertungen fehlt es vielen Märkten an hohen Eigenkapitalrenditen und Gewinnmargen, um Anleger anzulocken. Unterschiedliche Risiken einzelner Schwellenländer bieten selektiven Anlegern jedoch Chancen bei profitablen Titeln mit hohem Wachstumspotenzial. Dies gilt besonders für kleinere Unternehmen, solange Anleger ihre untergewichteten Positionen ausgleichen.